Was auf die Augen kriegen
Es ist schön und
auch entstressend, wenn wir die Umwelt als stabil wahrnehmen, d.h. täglich das
Gleiche sehen, mal abgesehen von den zu erwartenden Einflüssen des Wetters.
Ältere Menschen brauchen und wollen nicht ständig was Neues, aber sie brauchen „immer
wieder mal“ was Neues! Ja, was jetzt: Veränderung oder immer das Gleiche?? Sowohl
als auch.
Was wir nicht
sehen wollen sind nur zum Beispiel jeden Tag um uns herum Baustellen in der
Aussenwelt, neue Bewegungshindernisse, welche unsere eingeübten Bewegungsmuster
auf dem Weg zum Bäcker stören. Aber wenn es schöne Anblicke oder Ausblicke hat,
Ecken der speziellen Aussichten, welche durch ihre natürliche Ästhetik
begeistern, dann ist das durchaus willkommen.
Insbesondere,
wenn diese Plätzchen ein Ort des Kontaktes sein können, des Verweilens,
Ausruhens, um etwas zu Lesen oder auch nur um den Blick schweifen zu lassen.
Dort möchten wir ab und zu eventuell schon mal was Neues entdecken dürfen!
Hein und Fietje
sassen täglich 4 Stunden am Elbufer und erfreuten sich am Gucken. Schiffe aller
Herren Länder zogen vorbei und in einem dem norddeutschen Gemüt entsprechenden
Ausmass fielen Kommentare hie und da oder wurden Fragen diskutiert. Das konnten
die beiden stundenlang und auch wenn es weniger gewechselte Worte waren als in
1 Minute in Neapel auf dem Fischmarkt, so hatten sie doch das Gefühl mal wieder
intensiv und ausgiebig alles besprochen zu haben. Sowas hält jung.
Ich hoffe, ich
treffe dann auch mal den Piet, der mit mir auf einem Vorsprung im Altendorf
sitzt und über die Dächer blickt und noch ca. 70 km weit übers Meer nach Süden
schauen kann, bis dahin wo die Erdkrümmung einsetzt. So und nicht anders muss
auch griechische Philosophie ihren Ursprung gefunden haben, denke ich und
natürlich müssen wir beide jetzt das Universum analysieren und den Vogelflug
begutachten.
Aber nicht nur
das: wir freuen uns auch an Helena, 25 Jahre, eine lebendig gewordene Statue
der Antike, welche lächelnd nach uns schaut, ob wenigstens einer seinen
Rollator mitgenommen hat. Wir wissen diesen Blick sehr zu würdigen und unser
Immunsystem auch, wenn es in die großen dunklen Augen dieser
Mittelmeerschönheit blickt und dort die Zukunft entdeckt, die aus einer jungen
Person heraus uns anschaut. Wir mögen dann alles Mögliche für sie in unserer
Phantasie für sie erfinden: eine Familie, Kinder, wie sie tanzen und wie sie schimpfen
kann. Unsere inneren Augen verselbständigen sich und wir lächeln zurück. Auch
natürlich, weil wir die Absicht ihres Nachsehens nach uns als einen Teil ihrer
diskreten Fürsorge interpretieren. Helena ist im ambulanten Pflegeservice des
Dorfes tätig und wohnt auch im Village. Wir sehen sie manchmal abends auf der
Agora, wenn wir uns gutgelaunt runter zum Strand schleichen, um im „Bad Boys
Harbor Inn“ unter den Klippen versteckt einen Absacker zu nehmen – oder zwei
oder so halt.
Wir haben an
diesem Tag dann ordentlich „was auf die Augen gekriegt“, die äußeren und die
inneren. Diese Stunden haben sich schon wieder gelohnt.