Der in- und auswendige Seiltanz
Nach der
Aufarbeitung der Midlife Crisis – die wohlgemerkt jeden ergreift, ob er es
gemerkt hat oder nicht – scheint sich unser genetisch geplantes
Alterungsprogramm auf immer mehr Stabilität zu konzentrieren. Wohlwissend, dass
die physiologischen Vorgänge in uns sich immer mehr einem Seiltanz annähern und
unsere Bandbreite die Welt zu ertragen schmäler wird.
Wir meinen
jenseits der 60 tatsächlich immer häufiger, dass die Welt da draussen immer
unzuverlässiger wird, immer chaotischer, immer unverständlicher…Dabei denke
ich, dass sie genauso vor sich hinrödelt wie zu den Zeiten unserer Jugend und
sich bloss unsere Wahrnehmung verschoben hat. „Des hätts zu unserer Zeit net
gehm…“! Diese Reaktion ist im spezifischen vielleicht dann richtig, aber in der
Bewertung, nämlich der Vermutung eines demnächst drohenden Weltuntergangs,
übertrieben. Die Jugend lächelt, sie geht damit ganz anders um. Was sollen die
also von uns Älteren eigentlich lernen? Überschätzen wir uns da?
Innere
Gelassenheit wird ein höheres Gut im Alter, weil automatisch knapper. Aber ist
es nicht wunderbar, dass wir unser Gehirn managen können und uns die innere
Gelassenheit wieder herholen können? Ach was, sagen Sie…Psychotherapeut oder
was?
Nein, bitte
nicht, sage ich: machen wir uns mal klar, dass unser Gehirn untrennbar mit
unserem Muskelsystem verbunden ist. Die meisten Anteile von unserem „Gedächtnis“
sind nicht Teil der morphologischen Substanz unserer Hirnmasse, sie sind ein
dynamisches Geflecht aus allen Wahrnehmungskomponenten aus unserem Körper. Wie
merkt sich ein Bühnenschauspieler so viel Text? Nur dadurch, dass er bestimmte
Körperhaltungen und Bewegungen mit dem Text verknüpft. Dieser fällt ihm dann
auch nur ein, wenn er die entsprechende Motorik unternimmt.
Und jetzt reden
wir mal über Seiltanz. Schon mal gemacht? Ich auch nicht, aber mit 80 möchte
ich das beherrschen und dann im großen Amphitheater in meinem Altendorf Applaus
erhalten, wenn ich mich – in, ok, 3 Meter Höhe mit Matratze untendrunter – um
die eigene Achse drehe. Stabilität besteht bei uns Älteren nicht im Herumhocken
oder stundenlangem Strandstehen, sondern in der motorischen Kunst der ständigen
dynamischen Balance, eher dem Gegenteil, was wir mit technischer Stabilität
assoziieren. Die motorischen Übungen hierzu haben ungeahnte Auswirkungen auf
die Stabilität unserer Psyche, wenn es darum geht der Welt mit Gelassenheit zu
begegnen. Stabilität ist hier gleich Flexibilität von Bändern, Sehnen, Muskeln,
Faszien und Gelenken.
Wenn wir erst
einmal gelernt haben uns in 3 Meter Höhe auf einem Spannseil um die eigene Achse
zu drehen, können diese Medien um uns herum gerne berichten, wieviel
schreckliches wieder passiert ist, ohne dass wir es beeinflussen können. Also,
hilflos sind wir dann jedenfalls nicht mehr, eher immun.
Wie? Sie sind
unter 60 Jahre alt und wollen das auch jetzt schon ausprobieren? So war das
aber nicht gemeint…J
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