Unabhängig und
selbstverantwortlich entscheiden zu können, welche Nahrung für mich gesund und
gut ist, das ist lange her. Denn ich rieche nichts mehr in unserer europäisch
durchstandardisierten Welt. Es ist schon seit langem so, dass man mir die
Fähigkeit entzogen hat, die Qualität meines Futters bewerten zu können: alles
ist geruchsdicht verpackt.
Über die
Genießbarkeit darf meine Nase und mein Tastsinn vor dem Kauf nicht mehr
entscheiden, wenn ich vor den Discounterregalen spazieren gehe und mich
ausschließlich die aufgedruckten Verfallsdaten und die lange Liste der Zutaten,
Zusatzstoffe und deren Konzentrationen im Einzelnen und in Summe betrachtet
informieren. Ich muss meinen rationalen Zahlengenerator der linken Gehirnhälfte
beschäftigen und analysieren lassen, ob ich das jetzt essen soll. Schon bin ich
verwirrt, durcheinander und von den Emotionen zur vor mir liegenden Nahrung
entkoppelt.
Geschmackserinnerung kommt nur, wenn der Geruchssinn voranmarschiert, also soll ich das jetzt essen? Das Verfallsdatum ist ok, die Zutaten sind sicher nach EU Richtlinien standardisiert, die Verpackung absolut hygienesicher, Mahlzeit, das muss ja schmecken, ganz klar!
Geschmackserinnerung kommt nur, wenn der Geruchssinn voranmarschiert, also soll ich das jetzt essen? Das Verfallsdatum ist ok, die Zutaten sind sicher nach EU Richtlinien standardisiert, die Verpackung absolut hygienesicher, Mahlzeit, das muss ja schmecken, ganz klar!
Ein Halbidiot,
wer sich das einreden kann. Na gut mit etwas Übung geht das auch, dass man sich
dann noch auf das Essen „freut“… Unser Immunsystem muss riechen können, damit
es seine Aufgaben erledigen kann: es ist mit anderen Worten in der technischen
Zivilisation komplett unterbeschäftigt. Quasi Trainingsverbot, wie soll es da
richtig funktionieren bitte? Wie soll es da Entscheidungen treffen können
zwischen dem Guten und dem Schlechten? Es wird von der Vernunft ausgehebelt und
liest dann lieber in den einschlägigen Gesundheitsfeuilletons nach, was es tun
soll. Entmündigt, ohne Selbstverantwortung, eigentlich allein gelassen.
Draußen auf der Straße
riecht auch sonst nichts mehr, die Welt ist geruchsneutral geworden. Und wenn
mal ein Geruch durchkommt, ist man geneigt zur Beschwerde zu greifen, es bricht
sofort Einordnungsstress aus: Geruch darf´s doch gar nicht mehr geben.
In meinem Dorf
ist das anders: da trainieren wir das Immunsystem gehörig! Gerüche sind wie
Schnellzüge in die Vergangenheit. Sie lösen sofort Bilder, Stories und Filme in
uns aus. Wissen sie noch, wie das Leder des alten Schulranzens in der Julisonne
auf dem Schulhof gerochen hat? Oder die Tinte, insbesondere, wenn sie auf der
Schulbank verschüttet wurde, auf der noch die Leberwurst-brotreste vom Vortag
klebten? Oder wie war das als wir den Milchladen betraten und dieses
Geruchsgemisch aus Frischkäse, Molke und fetter frischer Kuhmilch in uns
aufnahmen? Die Liste wird endlos, wenn ich hier weitermache, bitte ergänzen Sie
selbst…Aber waren es nicht jedes Mal tiefgehende und wohltuende Gefühle, wenn
wir die Dinge um uns herum riechen konnten? Sie gaben Sicherheit und
Orientierung.
Wundern wir uns
jetzt noch, wenn ältere Menschen, die als unvermeidbarem Bestandteil des
Alterns verstärkt auf äußeren Sicherheit und Orientierung über Gut und Schlecht
gebenden sensorischen Input angewiesen sind, wenn die dann immer unsicherer und
orientierungsloser werden?
Selbst Gestank
ist wichtig: als Warnung „Achtung schlecht“. Es gibt woanders Welten wo das
funktioniert, aber die setzen wir mit elend und Armut gleich, stimmt ja auch,
aber trotzdem berauben wir uns aktiv unserer Sinne und Sinnlichkeit. Die neuen
Medikamente gegen Alzheimer werden es schon irgendwann richten!
Alles was riecht
kann zu uns sprechen, mit uns in eine Kommunikation treten, selbst die „tote“
Umwelt, und damit für uns sicher werden: der Granit in der Augustsonne riecht,
Sand und Meer, die Kleider der anderen, unbeschriebenes Papier aus der alten
Manufaktur.
Ist Ihnen schon
mal aufgefallen, dass die Zunahme unserer Nahrungsmenge und damit unseres
Gewichtes korreliert mit der Abnahme der Gerüche? Wir sind ganz wild auf
endlich Riechendes, wenn es uns als Gericht gereicht wird: lecker, mehr davon,
bloß weil endlich mal was riecht. Annahme: weil wir nichts mehr riechen dürfen,
stürzen wir uns auf Riechendes: das Essen ist das fast das einzige was bleibt.
Ich gebe zu:
diese Annahme muss noch einmal kritisch überprüft werden. Trotzdem will ich dasjenige Dorf, welches meine Geruchssinnlichkeit in Atem hält.
Facebook Dr. Uwe
Klein
Healthy-Ageing.de
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