Sonntag, 17. Januar 2016

Das beste Drittel unseres Lebens


Wie erreicht man dieses Ziel: gesund Altern? Wünschenswert wäre es ja. Vieles dazu ist klar, liegt auf der Hand, 1000 Mal beschrieben, Oma wusste das auch schon oder man hat es persönlich erlebt.
Die „Unwirtlichkeit unserer Städte“ (Alexander Mitscherlich) hat in meiner Generation viel ausgelöst. Im Alter von 65 – das werde ich dieses Jahr – fällt mir dieses Buch wieder ein, wenn man den Platz für das beste und letzte Drittel seines Lebens sucht.
Jede Menge Verbesserungspotential in der Stadtgestaltung, Verkehrsplanung und Wohnungseinrichtung fällt einem dann plötzlich auf: die Perspektiven sind anders geworden, daher. Etliche von uns drängen im Alter ins Ausland und suchen den klimatisch vergoldeten Ruhesitz. Da war doch früher im Urlaub zumindest vieles als „besser“ erlebt! Doch bald merken diese, dass ein „Pseudoaufgehobensein“ in teuren und durchgestylten 4 bis 5 Sterne-Sonnen-Welten auf Dauer kotzlangweilig ist.
Welchen Herausforderungen soll man sich stellen? Es muss etwas geben jenseits der Enkelkindbetreuung und Coaching von Midlifekrisen der eigenen Kinder. Auch jenseits der Diskussionsrunden in Alterstreffs, welche die vergangenen Denkmuster repetieren - ohne dies zu merken natürlich.
Wir brauchen im Alter geistige und körperliche Herausforderungen, welche eine produktive Komponente verlangen und sich nicht im virtuellen und passiven Mitdiskutieren mittels innerer Dialoge bei unseren Talkshows mit Volkserziehungscharakter in den Hauptkanälen erschöpfen. Diese Kanäle streben die Verwaltung unserer Gehirne an, welche durchaus zu viel mehr imstande sind, als sich verwalten zu lassen…
Gut, man könnte sich noch als Marsianer bewerben und mal eine dreijährige Reise planen. Völliger Verlust des Zeitgefühls soll ja gut sein fürs Immunsystem. Der Marstrip würde dann auch vom Unterhaltungswert keinen grossen Unterschied machen zu einem Seniorendasein, welches sich an den verfügbaren Lebensweisen in den üblichen Altersheimen orientiert. Der Thrill, ob man zurückkäme oder in den Genuss einer All-Bestattung kommt wäre allerdings reizvoll.
Ich lese gerade Ludwig Marcuse: „Das Märchen von der Sicherheit“, zum 5. Male glaube ich. In einer Kultur, welche so derartig krass vom Primat-Wert „Sicherheit“ geprägt ist wie Zentralgermanien, klingt allein dieser Buchtitel wie eine sokratische Unverschämtheit, der man am besten gleich mit dem Schierlingsbecher und nicht mit Nachdenklichkeit begegnen sollte. Da ich keine Depressionsmuster als Überlebensstrategie pflege – das Gefühl der ständigen Abhängigkeit von der „Sicherung“ durch andere macht eher richtig schwach und depressiv – denke ich also nach….Was dabei rausgekommen ist mündet in meiner persönlichen Erkenntnis: „Sicherheit ist die Kompetenz zum Handeln“ und mit Sicherheit eben keine Police.
Diese Handlungskompetenz in Eigenkontrolle wird im letzten Drittel des Lebens immer gefragter, denn die Handlungs-Spielräume werden immer mehr und immer mehr selbst-definiert! Obwohl alle davon reden, dass sich das Leben einengen würde, Unsinn. Während der/die berufstätige/r Familienvater/mutter in unserer Industriegesellschaft unzweifelhaft in diversen Hamsterrädern herumhetzen bis zur Rente, wird es dann nach dem „grossen Umbruch“ total anders. Jetzt auf einmal haben wir jenseits der 60/65 nicht nur die Chance, sondern sogar die Notwendigkeit uns täglich selbst zu bestimmen.
Der Körper zeigt nun Grenzen auf. Hat er früher auch schon, aber damals haben wir ja nicht hingehört, sondern uns in den angeblich “wohlverdienten“ Urlaub quasi als Gesundheitsschämer geflüchtet. Und jetzt?
Das geht schon morgens los: stehe ich endlich früh auf und will kalt duschen? Wie sieht es mit Morgengymnastik aus? Fitnesscenter? Mit Fahrrad oder Auto dorthin? Wann und wo der Morgenkaffee? Wo und wann hole ich meine Informationsaufnahme über die Aussenwelt ab? Wer steht auf meiner sozialen Kontaktliste? Ok…jetzt ist es danach dann gerade mal 9:15 h und die Wahlfreiheiten sich für ein besonderes Ziel von enormer Bedeutung zu entscheiden sind schier exponentiell. Das war früher eventuell sogar auch schon der Fall, bloss hat es damals keiner gemerkt in den durchorganisierten Welten der Fremdbestimmung, welche wir täglich fleissig umdefiniert haben in: „haben wir so entschieden…“ Haha.

Meine persönliche Frage an meine eigene Zukunft ist: will ich in ein Senior Village auf Kreta ziehen? Gibt es dort Healthy Ageing für mich? Oder werde ich dort ein „Kunstleben“ führen, umgeben von weiteren 999 Gestrandeten mit Pflege High Tech, Robatoren (Robotik-Rollatoren) oder was Silicon Valley mir sonst noch von meiner Rente abziehen möchte? Die Kneipenseligkeit vergass ich bislang als stabilisierenden Faktor für Körper, Geist und Seele zu erwähnen. Mehr davon im nächsten Blog.

Blogs von Dr. Uwe Klein auch auf healthy-ageing.de

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