Samstag, 6. Februar 2016

Was auf die Augen kriegen

Es ist schön und auch entstressend, wenn wir die Umwelt als stabil wahrnehmen, d.h. täglich das Gleiche sehen, mal abgesehen von den zu erwartenden Einflüssen des Wetters. Ältere Menschen brauchen und wollen nicht ständig was Neues, aber sie brauchen „immer wieder mal“ was Neues! Ja, was jetzt: Veränderung oder immer das Gleiche?? Sowohl als auch.
Was wir nicht sehen wollen sind nur zum Beispiel jeden Tag um uns herum Baustellen in der Aussenwelt, neue Bewegungshindernisse, welche unsere eingeübten Bewegungsmuster auf dem Weg zum Bäcker stören. Aber wenn es schöne Anblicke oder Ausblicke hat, Ecken der speziellen Aussichten, welche durch ihre natürliche Ästhetik begeistern, dann ist das durchaus willkommen.
Insbesondere, wenn diese Plätzchen ein Ort des Kontaktes sein können, des Verweilens, Ausruhens, um etwas zu Lesen oder auch nur um den Blick schweifen zu lassen. Dort möchten wir ab und zu eventuell schon mal was Neues entdecken dürfen!

Hein und Fietje sassen täglich 4 Stunden am Elbufer und erfreuten sich am Gucken. Schiffe aller Herren Länder zogen vorbei und in einem dem norddeutschen Gemüt entsprechenden Ausmass fielen Kommentare hie und da oder wurden Fragen diskutiert. Das konnten die beiden stundenlang und auch wenn es weniger gewechselte Worte waren als in 1 Minute in Neapel auf dem Fischmarkt, so hatten sie doch das Gefühl mal wieder intensiv und ausgiebig alles besprochen zu haben. Sowas hält jung.
Ich hoffe, ich treffe dann auch mal den Piet, der mit mir auf einem Vorsprung im Altendorf sitzt und über die Dächer blickt und noch ca. 70 km weit übers Meer nach Süden schauen kann, bis dahin wo die Erdkrümmung einsetzt. So und nicht anders muss auch griechische Philosophie ihren Ursprung gefunden haben, denke ich und natürlich müssen wir beide jetzt das Universum analysieren und den Vogelflug begutachten.
Aber nicht nur das: wir freuen uns auch an Helena, 25 Jahre, eine lebendig gewordene Statue der Antike, welche lächelnd nach uns schaut, ob wenigstens einer seinen Rollator mitgenommen hat. Wir wissen diesen Blick sehr zu würdigen und unser Immunsystem auch, wenn es in die großen dunklen Augen dieser Mittelmeerschönheit blickt und dort die Zukunft entdeckt, die aus einer jungen Person heraus uns anschaut. Wir mögen dann alles Mögliche für sie in unserer Phantasie für sie erfinden: eine Familie, Kinder, wie sie tanzen und wie sie schimpfen kann. Unsere inneren Augen verselbständigen sich und wir lächeln zurück. Auch natürlich, weil wir die Absicht ihres Nachsehens nach uns als einen Teil ihrer diskreten Fürsorge interpretieren. Helena ist im ambulanten Pflegeservice des Dorfes tätig und wohnt auch im Village. Wir sehen sie manchmal abends auf der Agora, wenn wir uns gutgelaunt runter zum Strand schleichen, um im „Bad Boys Harbor Inn“ unter den Klippen versteckt einen Absacker zu nehmen – oder zwei oder so halt.

Wir haben an diesem Tag dann ordentlich „was auf die Augen gekriegt“, die äußeren und die inneren. Diese Stunden haben sich schon wieder gelohnt.

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